Die sich derzeit in der gesamten Türkei abspielenden Ereignisse lassen auch uns in Deutschland nicht
unberührt. Ausgehend von einer überschaubaren Kundgebung gegen die Entfernung des Istanbuler Gezi-Parks zugunsten eines städtebaulichen Großprojekts, welches mit einer unverhältnismäßig rohen Polizeigewalt niedergeschlagen wurde, hat sich eine landesweite Bewegung großer Teile der Bevölkerung entwickelt.

Die Bürgerinnen und Bürger lehnen den autoritären Regierungsstil von Ministerpräsident Erdogan und der AKP ab und fordern mehr Demokratie und die für einen Rechtsstaat essenziellen Grundrechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein.

Mögen die AKP und Erdogan auf demokratischem Wege gewählt worden sein, legitimiert eine solche Machtstellung nicht die Aushöhlung der Demokratie und des Rechtsstaats. Die Ereignisse um das Fällen von Bäumen im Gezi-Park sind so gesehen nur die Spitze des Eisbergs. Seit Jahren existiert in der Türkei keine von der Regierung unabhängige Medienlandschaft. Regierungskritische Journalisten müssen um ihren Beruf fürchten, nicht wenige um ihre Freiheit. Ohne Prozesse und teils ohne richterliche Anhörungen sitzen sie in Gefängnissen irgendwo im Land, niemand weiß genau, wo. In der Wirtschaft werden Großaufträge vom AKP-gelenkten Staat ohne ordnungsgemäße öffentliche Ausschreibungen nur noch an der Regierung wohlgesonnene Unternehmen vergeben. Diese Großprojekte werden zudem, wie Gezi-Park einmal mehr zeigt, ohne die Einbeziehung der Belange und Interessen der Bürgerinnen und Bürger umgesetzt. Gesetzesänderungen verurteilen die Bürgerinnen und Bürger zu einem unmündigen Leben. So ist das Streikrecht in der Türkei unter der AKP massiv eingeschränkt worden. Für bessere Lebensbedingungen streikende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen mit dem Verlust ihrer Arbeit rechnen. Der wirtschaftliche Aufschwung der Türkei mag sich in Statistiken verwirklichen,
bei breiten Bevölkerungsschichten kommt er so jedenfalls nicht an. Zudem oktroyiert die AKP etwa mit dem Alkoholverbot oder der Auflockerung von der einst strikten Trennung von Islam und Staat zunehmend einen religiös geprägten Lebensstil.

Etwa drei Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger hier in Deutschland stammen aus der Türkei. Auch ist die Türkei ein direkt angrenzender Staat an die EU sowie ein Beitrittskandidat und nicht zuletzt ein beliebtes Urlaubsziel vieler Deutscher. Wir als Deutsche und Europäer verstehen die EU nicht lediglich als Zusammenschluss ökonomischer Interessen, sondern vielmehr als ein Projekt mit einem gemeinsamen kulturellen Erbe und damit als eine Wertegemeinschaft. Es kann uns daher nicht egal sein, wenn dort diejenigen unterdrückt werden, die diese Werte mit uns teilen, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten und Demokratie und Rechtsstaat als solche von einer Regierung in Frage gestellt werden.

Eine hierzulande nicht selten vorgebrachte Gleichsetzung dieser Geschehnisse mit „Stuttgart-21“ ist abzulehnen. Gegen das bürgerliche Engagement vieler in Stuttgart ist nichts einzuwenden und zeigt im Grunde beispielhaft die Wahrnehmung von Grundrechten, doch der Protest um „Stuttgart-21“ bezog sich im Kern nie auf einen als antidemokratisch empfundenen Regierungsstil in Deutschland. Vielmehr ging es um ein einzelnes Großprojekt, die Verletzung von Grundrechten stand nicht zur Debatte. Auch gab es zwar verletzte Demonstranten durch Polizeigewalt, Dimensionen wie in der Türkei mit Toten, tausenden Verletzten und willkürlich Festgenommenen jedoch nicht. Auch wurden die so genannten „Wutbürger“ von keiner Seite als Vandalen, Terroristen, vom Ausland gesteuerte Extremisten diffamiert. Derartige Gleichsetzungen sind ein Hohn und ein weiterer Schlag ins Gesicht der friedlich protestierenden Bürgerinnen und Bürger in der Türkei.

Die entschiedene Nichthinnahme der Zustände in der Türkei seitens der türkischen Bevölkerung ist richtig und angesichts der brutalen Gewalt der Polizei und paramilitärischen Einheiten nicht hoch genug einzuschätzen. Ihr Eintreten für mehr Demokratie hat unseren Respekt und unsere Anerkennung verdient. Wir in Deutschland und der EU sollten einer Türkei mit einer jungen, für Demokratie und Grundrechten streitenden Bevölkerung nicht etwa den Rücken kehren, nein, gerade jetzt heißt es, eine Brücke zu schlagen!

Wir Jusos aus dem Unterbezirk Diepholz möchten der sich friedlich für Demokratie und Grundrechte einsetzenden Zivilgesellschaft der Türkei und insbesondere unserer Schwesterpartei der CHP unsere uneingeschränkte Solidarität aussprechen und die Hoffnung äußern, die türkische Regierung und vor allem Ministerpräsident Erdogan möge sich in dieser angespannten Situation weniger demagogisch, sondern deeskalierend hervortun und der unsäglichen Gewalt gegen das eigene Volk ein Ende setzen.

Die Jusos im Unterbezirk Diepholz